„Kuckuck, kuckuck“ schallt unser Ruf über die Zeltwiese an der Burg Hohenkrähen und aus allen Richtungen springen sie heran, die Ritterinnen und Ritter, zwischen 7 und 12 Jahren alt, voller Vorfreude auf den Tag. Wir versammeln uns im Morgenkreis, erzählen uns gegenseitig wie die Nacht verlief und was wir heute alles vorhaben; singen ein Lied, spielen eines unserer mittelalterlichen Kreisspiele und dann – ab zum Frühstück. Erstes Gesprächsthema heute am Tisch: Bio-Essen. „Bio-Essen ist nur was für Ökos“ erzählt Moritz*, während er in sein dick mit Bio-Marmelade bestrichenes Brot beißt. Doch das Thema wechselt bald, nun geht es um die Ritterausrüstung. Von großer Bedeutung, denn schließlich beginnen wir am Vormittag mit dem Bau eben dieser.
Vormittags bleiben wir in der Regel am Lagerplatz, wir basteln und handwerken. Die Kinder durften sich in drei Rittergruppen einteilen. So haben sich „die Falken“, „die Kreuzritter“ und „die Ritter der Nacht“ gefunden. Alle haben bereits ihre Wappen entworfen. Erstere malen es heute sorgsam auf ein großes Leintuch, holen sich zwei Stöcke die sie zum Ständer verbinden und präsentieren noch vor dem Mittagessen stolz ihre Fahne. Soweit sind die „Kreuzritter“ mit ihren Schwertern noch nicht gekommen. Mit hoch rotem Kopf sitzen die Burschen um den Lagerfeuerplatz und schnitzen was das Zeug hält, schließlich soll sich ihr unhandliches Vierkantholz in ein graziles Schwert verwandeln und dazu bedarf es großer Fleißarbeit. Durchhaltekraft ist für sie die ritterliche Tugend des Tages. Diese hilft auch den „Rittern der Nacht“ beim Schildbau weiter. Findet zumindest Manuel. „Das braucht ja ewig“ beschwert er sich. Wenige Minuten später freut er sich jedoch über sein gelungenes Schild.
Als die Sonne bereits hoch über dem Burgberg steht, macht sich der hoch motivierte Küchendienst ans Werk, um das Mittagessen vorzubereiten. Obst und Gemüse schnippeln, Brot schneiden, kühles Wasser im schweren Kanister heranschaffen, wenn die Eltern das sehen könnten, denke ich von Zeit zu Zeit. Schließlich wird zum Rittermahl gerufen. Mit vollen Mägen schließlich, heißt es „Mittagsruhe“. Ein Programmpunkt, der auf unterschiedliche große Begeisterung stößt. Letztendlich nimmt sich dann doch jeder für eine Stunde etwas Ruhe: Manche dösen im warmen Zelt, andere spielen Karten im Schatten der Bäume, wieder andere schleifen auffällig-unauffällig an ihren Schilden weiter. Ich versuche Eltern, die uns vor einem Gewitter warnen, am Telefon zu beruhigen und sortiere den Erste Hilfe Kasten neu, ehe ich mir auch etwas Ruhe gönne.
Nachmittags gehen wir die Umgebung entdecken, jeden Tag erschließen wir uns so spielerisch ein Stück weiter den Umkreis um unser Zeltlager. Am Ende der Woche werden wir eine Ganztagswanderung zum Bodensee unternehmen und an einem glühend heißen Tag freudig ins kühle Nass springen. Doch heute steht erst einmal die Eroberung unser Nachbarburg, auf dem Mägdeberg an. Vom Burgberg aus suchen wir unser Ziel um mit dem Kompass die Himmelsrichtung bestimmen zu können. Anhand einer mittelalterlichen Wegekarte heißt es dann die Route festzulegen. Die Gruppe jedoch vertraut ihrer Kompetenz in Sachen Navigation und entscheidet sich für einen Orientierungslauf querfeldein. Erst eine Kuhweide wird sie kurz vor dem Ziel zu einem Umweg zwingen. Am Fuße des Mägdeberges angekommen, wird schließlich beim Geländespiel Ritter gegen Raubritter die Eroberung der Burg gelingen.
Zurück im Ritterlager treffen wir alle Vorbereitungen für unser warmes Abendessen. Holz wird aus dem Wald geschleppt, zersägt und mit dem Beil gespalten, pyramidenförmig aufgeschichtet und schließlich als Feuer entzündet. Parallel wurde eine köstliche Suppe und ein Stockbrotteig von den noch immer fleißigen Küchenhelfern zubereitet. Während die Suppe noch über dem Feuer köchelt, räumen wir den Lagerplatz ein wenig auf und dann heißt es: Rittermahl mit kräftigender Gemüsesuppe als Vor- und braun gebranntem Stockbrot als Nachspeise. Im Anschluss wird das Abspülen des Geschirrs mit dem Zähneputzen verbunden. Wer möchte nach dem erlebnisreichen Tag schließlich noch zweimal zum Wasserhahn gehen?
Wir haben das Lagerfeuer neu entfacht, denn mittlerweile wird es dunkler. Gemütlich sitzen wir Kreis um das wärmende Rot, schauen träumend in die Flammen oder unterhalten uns angeregt über Bogenschießen, Traumschlösser und Raubritter. Schließlich werden wir ruhiger, denn unser Ritterregeln verlangen es, dass beim Tagesrückblick immer nur einer spricht. Unser Redestab wird von Einem zum Anderen gegeben und jeder der tapferen Recken weiß etwas von seinen Heldentaten zu berichten. „Wir dachten, wir erreichen die Burg nie mehr“ erzählt Sonja vom Orientierungslauf „heute war für mich der schönste Tag, aber auch der anstrengendste“ stimmt Martin ihr zu. „Ich habe seit vorgestern drei neue Sternbilder neu kennen gelernt“ berichtet Ole. „Ich möchte zu Hause auch immer ein Feuer haben“ wünscht sich Moritz zum Abschluss.
Die Erzählungen der Kinder werden von den Abenteuern des Ritter Tiuris, unseres Vorlesebuchs für den Abend abgelöst und als dieser müde sein Nachtlager aufbaut, sind wir alle froh, dass unsere Zelte schon stehen.
Als alle in ihren Schlafsäcken liegen, schauen die jeweiligen Bezugsbetreuer (jedes Kind hat einen Pädagogen, der besonders auf es schaut) noch am Zelt vorbei. Letzte Spinnen müssen gefangen und Trinkflaschen gefüllt werden, ehe sich eine seltene Ruhe über unseren Platz ausbreitet.
Wie jeden Abend tauschen wir Erwachsenen dann unsere Eindrücke aus, die wir im Laufe des Tages von den Kindern gewonnen haben. Ein Kind nach dem Anderen rufen wir uns ins Gedächtnis und überlegen, wen wir noch unterstützen müssen, wer noch etwas mehr Förderung bedarf und beschließen, für den morgigen Tag, mit dem bisher unauffälligen Manuel noch mehr ins Gespräch zu kommen. Zwischendurch kommt Moritz ans Feuer gestapft und braucht noch Trost. Das Heimweh plagt den tagsüber sehr munteren 8-Jährigen abends. Doch schließlich kommt auch er zur verdienten Nachtruhe.
„Kuwitt, kuwitt“ ruft das Käuzchen aus dem Wald und mit einem Blick auf die Uhr stelle ich fest, dass wir bereits in spätestens 7 Stunden wieder unseren „Kuckuk“-Versammlungsruf rufen werden. Es wird anders kommen, denn bereits eine Stunden zuvor wird ein Trupp junger Ritter vor meinem Zelt stehen und verlangen, endlich das Feuer für den Frühstückstee entzünden zu dürfen. Aber das weiß ich noch nicht und so falle auch ich in den tiefen Schlaf, nach einem erlebnisreichen und schönen Tag auf Burg Hohenkrähen.
Wendelin Haag, Leiter der erlebnispädagogischen Ferienfreizeit „Ritterleben“
*die Namen der Kinder sind geändert